50 Tage im kleinen Blauen – wir feiern goldene Hochzeit, sozusagen. Es ist immer noch leicht, und es beginnt mich fast zu ärgern, dass es so ist. Bislang spüre ich weder Langeweile noch Sehnsucht nach den anderen zehn Kubikmetern in meinem Kleiderschrank. Das Kleid lebt klaglos, nein: freundlich mein Leben mit. Sitzt 14 Stunden am Schreibtisch oder zehn Stunden im Flugzeug, schraubt zwei Stunden Lampen an oder stopft einen 16-Pfund-Truthahn, geht zu Dinnerpartys, ins Büro, in Ausstellungen, ins Theater, zu einer Beerdigung, zum Arzt, auf Reisen, auf Wanderschaft, aufs Sofa. Es ist mit mir in eine neue Wohnung gezogen, hat mit mir Kisten geschleppt und den Kopf geschüttelt über all den Krempel, den ich darin mal wieder von einer Wohnung in die nächste getragen habe, ohne ihn je zu benutzen. Es wurde von Familie, Freunden und Fremden neugierig beäugt, interessiert befingert (ja, es ist wirklich sehr dünn; nein, ich friere auch bei minus 7 Grad nicht, dafür gibt es Strumpfhosen und Strickjacken) und gelassen akzeptiert als meine neue zweite Haut. Ich denke immer noch: geniales Teil, es ist genau richtig so. Anfangs stört mich das Rascheln der Technofaser ein bisschen, inzwischen eigentlich nicht mehr, ich habe mich an die Geräusche gewöhnt, die das Kleid macht, und liebe seine Details: die schrägen Tascheneingriffe, den Tunnelzug im Rücken, mit dessen Hilfe ich die Weite regulieren kann, wenn mir mal nicht nach Gürtel ist.
Ein paar Beobachtungen zum Fünfzigsten: 1. Ich werde achtsamer. (Und ich mag das Wort nicht mal.) Was ich damit meine: Ich habe mich noch nie so intensiv mit einem Gegenstand beschäftigt wie mit diesem Kleid. Es zu waschen, es so auf den Bügel zu hängen, dass es faltenfrei trocknet, sich Gedanken zu machen, was ich heute dazu anziehe, das lässt mich das kleine Blaue (genauer die drei kleinen Blauen, die ich übrigens nicht voneinander unterscheiden kann – vielleicht trage ich eins davon besonders oft, ohne es zu wissen?) auf eine Weise schätzen, wie das vor einem Jahrhundert vielleicht mit den zwei Hemden geschah, die man damals besaß. Und die ebenfalls als Kostbarkeit gehegt oder notfalls kunstfertig gestopft wurden, bis sie so fadenscheinig wurden, dass sie sich schließlich auflösten.
2. Alles ist auf dem Prüfstand. Das hat viel mit der kleinen Zusatzaktion „Und tschüß“ zu tun, die mich einen langen, kalten Blick auf all mein Zeug werfen lässt – oft zu dessen Ungunsten. Lange Besessenes wird auf einmal überflüssig, bisher Missachtetes plötzlich lästig. Ich trenne mich mit fast schon beängstigender Lust. Dabei mag ich es immer weniger, Dinge einfach so wegwerfen. Inzwischen ist mir wichtig, einen neuen Platz für sie zu finden, jemanden, der vielleicht noch was mit ihnen anfangen kann. Oder dem sie Spaß machen, zumindest für eine Weile. Interessanterweise mag ich im Umkehrschluss die Dinge mehr, die mir (zumindest derzeit) unverzichtbar scheinen. Was meinen kalten Blick überlebt, das erhält daraufhin einen um so wärmeren, scheint mir. Das sind Sachen, die auch nicht mehr sind als Krempel – aber eben geliebter Krempel. Zum Beispiel empfinde ich gerade eine geradezu absonderliche Zärtlichkeit für meinen “Good Morning Madam”-Wecker. Oder meinen Kusmi-Tee. Oder meinen Sixties-Ledersessel, den ich mal für 40 Euro in einer Auktion geschossen habe. Wenn am Ende des Jahres also wirklich nur noch das übrig bliebe, was ich brauche oder was ich liebe: das allein wäre eine sensationelle Bereicherung.
LIebe TRägerin, habe gerade dein INterview auf hr gehölrt, wollte das Kleid sehen – und Dich (Sie) – finde die Idee spannend und sie erinnert mich an den Film, der gerade im Kino lief “Julie und Julia”. Kennen Sie ihn (kennst du ihn) – würde dir (Ihnen ) gerne einen Schal schicken, der die -7 Grad bunter überstehen lässt. Liebe Grüße aus dem verregneten Köln. Monika Geisler (Journalistin-WDR)
Liebe Trägerin,
die Idee finde ich auch echt super klasse! Habe auch grad auf HR3 davon gehört.
Allerdings wundert es mich nicht, dass es dir noch nicht langweilig geworden ist – wo du dir doch so viel Mühe mit den Accessoires machst. Ich habe mir eher vorgestellt, dass du wirklich jeden Tag gleich aussiehst. Die Berge an Accessoires (alle super schön), die man bisher auf deinen Bildern sehen konnte, haben für mich nichts mehr mit Verzicht und Beschränkung zu tun.
Ich glaube erst dann kriegt dein Projekt den von Dir vermissten Härtegrad.
Nichts desto trotz finde ich die Idee schön verrückt! Solche Menschen mag ich gerne!
Alles Liebe und Gute,
Olivia
Großartig. habe mit Lea jetzt so oft geschaut, wie dein Tag so aussieht. Sie hat heute die Bedeutung von Accessoire verstanden. Ein wesentlicher Schritt in die Zeit der Pupertät… (da steht nach was bevor, sie ist jetzt Accessoire shoppen gegangen)
Die Schlotzis
Hallo,
habe heute im Radio von der Aktion gehört, dann mal gegoogelt und bin nun hier. Werde die Idee weiter verfolgen, die mich im Radio angesprochen hat, die ich hier nun sehe. Mein erster Eindruck, Verzicht, wenn ja nur auf Kleid, alles anderen Accessoires sind im Überfluss vorhanden.
Aber jeder setzt andere Schwerpunkte, als mal abwarten, was sich noch tut.
Ich habe auf 6 Wochen Jakobsweg erlebt, mit wie wenig frau auskommen kann, und das ginge sicher auch länger.
Habe einige technische Problemchen, mit den Punkten Home, das Pojetkt, das Kleid, FAQ – kann hier nichts öffnen, würde z.B. gerne erfahren welches Kleid es ist, blau, Funktion mit Bändchen im Rücken habe ich bisher gelesen.
Also bis später mal wieder, ausgefallene Idee sind immer gut,
Andrea aus dem verschneiten Rheinland
Liebe Meike Winnemuth,
als ich meiner Redakteurin von Dir/Ihnen erzählt habe und unserem Erstkontakt, war sie begeistert und meinte, dass das ein schönes Hörfunkfeature geben könnte zum Thema Uniform – Kleiderzwang und Kleiderfreiheit. Hätten Sie Lust zu einem Interview? Ich bin vom 29.3. (nachmittags) bis 4.4. mittags in München, weil ich in meiner Heimatstadt am 31.3. meinen Geburtstag feiern werde.
Haben Sie sich schon eingelebt? Und die erste Weißwurst im kleinen Blauen zu sich genommen?
Liebe Grüße aus dem mittlerweile herrlich verschneiten Köln
Monika Geisler
eigentlich wollte ich mir das ansehen mit dem entrümplen – und jetzt mal auf diesen artikel gestossen. bewundernswert – kann mir nicht vorstellen so etwas zu tun .. obwohl ich meist ins jeans und t-shirt gekleidet bin – habe ich dann doch abwechslung in der farbe (shirts) und schnitt (jeans) lieber – aber ich habe diese seite schon zu meinen favortien hinzugefügt und werde das experiment mit verfolgen..
gruss aus wien
uschi